Dieser Fahrtenberichtabschnitt wurde von Balli geschrieben.
10. April 2012, Dienstag
Irgendwann in der Nacht rieselte es keine Tannennadeln mehr auf die Kohtenbahnen, sondern kalte, aber ähnlich klingende Tropfen. Der zweite Teil des Tiefdruck-Ostergebiets war angekommen. Also weiterschlafen. Zur gewohnten Zeit (ca. 12 Uhr) Mittags-Müsli mit der cremigen Bergbauernmilch, abgekocht und abgehangen. Als der Wind schließlich eine blaue Lücke in die Schauerwolken gerissen hatte, rissen wir uns am Riemen, ließen die Kohtenbahnen trockendampfen und –wehen und liefen links am See entlang dem braunen Hang hinauf, zusammen mit dem letzten Sonnenschimmer.
Der Wind heulte zunehmend wütender in den Tannen, an die wir uns drückten, weiter bergan. Es wurde alpin, genauer: massiv (central). Nun wehte der Sturm Hagel-, Regen- und Graupelschauer waagrecht über die Alm. Im Schutz der Tannen (noch) ein beeindruckendes Schauspiel. Doch bald wurden wir Teil der Show. Der GR bog jetzt rechts nach oben ab. Steil, direkt in den Westwind und krater-steil. Selbst Jens zog es nun vor, die waagrechte, eiskalte Dauer-Dusche mit einem Poncho zu nehmen. Seine Brille hätte Scheibenwischer gut gebrauchen können.
Auf dem Grat waren die Böen so laut, dass nur das Knallen der flatternden Ponchos sie übertönte. Jeder nicht abgedeckter Körperteil gefror, und der Regen sprühte von unten und von vorn in jede Ritze. Kurze Pause vor dem Winddruck bot ein letztes niedriges Kiefernwäldchen. Die Ponchokaputzenvisiere klappten kurz hoch: vor uns leuchtete das erste Schneefeld.
Dann hatte uns das Heulen wieder, der Matsch des steil nach oben traversierenden Trampelpfads, von oben wehen Wolkenfetzen mit Schnee über den Kamm, der Winddruck noch mal verdoppelt, sodass wir mit den Ponchos anfangen, Schachpferd zu werden: zwei Schritt vor, eins zur Seite. Hier oben auf 1400 m herrscht heute Königsturm.
Mehr Schneefelder. Immerhin schaffen es Daniel und ich noch, trotz steifer Finder Nick mit zwei Schneebällen zu empfangen, als er geduckt um die Ecke kommt. Der Pass ist erlaufen. Der Wind durch nichts mehr aufgehalten, weht uns nach links und rechts davon, trocknet immerhin trotz Regen die angeklebten Hosen. Wir steigen in Richtung Mont-Dore ab. Das vor uns liegende Massiv (1800m) ist vollständig von Wolken verschluckt. Jeder Meter runter zählt, um dem Wind zu entkommen. Kurz vor dem ersten Wald dann eine bizarre Begegnung: Eine französische Schulklasse in Turnschuhen kommt uns entgegen, wir spekulieren über mögliche Headlines in der Lokalzeitung von morgen…
Kalte Erschöpfungsrast am nächsten Pass, die Hütte zu. Der Himmel wird noch dunkler. Wir scherzen, dass das dann wohl das von Jens angekündigte lokale Gewitter sein müsste. Als Antwort donnert es. Schnell weiter, an der nächsten Seeseite steht ein Haus mit zwei Autos davor. Ein Gasthaus, offen, mit heißem Kaffee & Kakao. Nötig.
Draußen graupelt es den Abend ein, und wir sehen dem Außenthermometer des Gasthofs beim Fallen zu. Bei 4 Grad, einem nahen Donner und im Eisregen patschen wir die Straße nach Mont-Dore runter. Schnell weg hier. Doch die Temperatur sinkt so schnell wie wir absteigen, und als wir schließlich frierend in Mont-Dore einlaufen, nass und gefroren von Kopf bis in den Wanderschuh hinein, sind wir nicht sehr glücklich über die Auskünfte der SNCF-Beamtin: Nein, es führe kein Zug mehr in warme unten. Nein, sie kann uns nicht in der lauwarmen Schalterhalle schlafen lassen. Nein, sie kann uns keine Tickets mehr für den Zug am nächsten Morgen um 6 Uhr verkaufen, das ist erst wieder um 5.45 Uhr möglich. Doch, die Halle schließt jetzt. Mont-Dore, Dämmerung, 2 Grad, kalter Dauerregen. Wir sind bei unserer Restaurant-Wahl nicht mehr sehr wählerisch, die Wahl ist dennoch gut. Unsere Kneipe hat Platz für 6 nasse Rucksäcke, uns sechs nasse Säcke, zwei Elektroheizungen, ein Klo und große Pfannen mit geschmolzenem Käse-Gratin + 2 Pichets Hauswein. Langsam tauen die meisten Teile von uns wieder auf, nur Mareikes Füße weigern sich. Daher kehrt die Schnupfen-Fraktion nach dem Mahl (wieder zitternd) zum Bahnhof zurück, während Zäzi, Jens und Nick sich noch einen Pastis in der Hotel-Bar genehmigen. Am Bahnhof gehen gerade die Neonleuchten aus, als wir uns über den Zaun werfen und das Transport-Vordach des Güterbahnhofs entern. Kohtenbahn auf Betonboden, Füße mit Fieber auftauen, Tropfen auf Vordach zählen. Harte Nacht nach hartem Tag beginnt…
PS: Noch schwerer als der Übergang von Tannennadeln zu Graupel kann man übrigens den Übergang von Regen zu Schnee erhören. Es wird einfach still – und kalt…